LOHMANNdialog
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Niemandsland

Beitrag von Ulla und Heinz Lohmann im Katalog von János Nádasdy

János Nádasdy, 1969, Radierung, 9,5x29,5cm / Foto: Falk von Traubenberg

 

Gesellschaftliche Kunst mit Leidenschaft

 

Eine kleine Radierung von János Nádasdy steht ganz am Anfang unserer Sammlung experimenteller Gegenwartskunst. Die Arbeit war ein Geschenk für die Organisation einer seiner ersten Ausstellungen, damals, 1969, im Emder Rathaus. János Nádasdy war noch Student an der Werkkunstschule Hannover und beschäftigte sich unter Anleitung seines Lehrers, des Kupferdruckers und Leiters der Worpsweder Künstlerpresse Herbert Jaeckel, mit Druckgrafik. Später besuchten wir einmal zusammen die Druckwerkstatt und konnten dort den außergewöhnlichen Herbert Jaeckel persönlich kennenlernen. Das Blatt, ein Querformat, gerade mal 9,5x30 cm, zeigt im unteren Drittel kleinteilige, unregelmäßige Strukturen. Darüber dehnt sich eine matte, fast transparente blau-grüne Einfärbung aus, die schließlich vollständig im Chamois des Papiers verschwindet. Die erste Assoziation: Die Erde bis zum schweflig-fahlen Horizont eine endlose Müllhalde. Und bei genauer Betrachtung: Ein kompaktes Gewirr von winzigen dünnen braunen Strichen und Kringeln. Am unteren Bildrand sind lediglich ein kleiner Karton mit den Zeichen T Y P und die Zahl 1969 zu erahnen. Nichts ist offensichtlich wie es scheint. Zurück bleibt eine verstörende, fast bedrohliche Wirkung.

 

Diese dennoch so zarte Arbeit ist wohl in verschiedener Hinsicht von grundlegender Bedeutung. Sie formulierte in ihrer subtil kritischen Darstellung wahrscheinlich als eine der ersten künstlerischen Aussagen Ende der 1960er Jahre eine der drängendsten Fragen der dann kommenden Zeit und traf damit sehr genau auch unsere Vorstellung von der dringend notwendigen öffentlichen Befassung mit gesellschaftlichen Themen. Und sie zeigt bereits wesentliche inhaltliche Leitmotive, die später das Werk von János Nádasdy durchziehen werden. Es ist die tiefgehende Auseinandersetzung mit der Umwelt, die den Künstler immer wieder leidenschaftlich beschäftigt. Eines seiner großen Verdienste dabei ist, den Umweltgedanken nicht auf den Aspekt der Ökologie zu reduzieren, sondern ihn umfassend im Sinne von Lebensbereich und Lebensumständen, von Natur und Gesellschaft und deren Wechselwirkungen zu verstehen.

 

Überzeugtes und überzeugendes Engagement sind ausgeprägte Charaktereigenschaften von János Nádasdy. Er muss sich einfach einmischen und tut es stets mit der ihm eigenen Energie für die Sache und mit und für die Kunst und die Künstler. In Hannover setze er sich erfolgreich mit öffentlichen Aktionen für eine besondere Würdigung des Malers Kurt Schwitters und des Schriftstellers Karl Jakob Hirschein. Ein nachvollziehbarer Wunsch für einen Künstler, der in dieser Stadt nach Jahren der eigenen Emigration aus seinem Heimatland Ungarn, eine neue Zukunft gestalten konnte.

 

Aus vielen Phasen des Schaffens von János Nádasdy finden sich Beispiele in unserer Sammlung. Und das hat gute Gründe. Immer wieder gab es Anknüpfungspunkte: Besuche im Atelier, Treffen bei Ausstellungen, Verabredungen im Museum und schließlich die Organisation eigener Präsentationen seiner jeweils aktuellen Arbeiten in unserem Ausstellungsraum der Sammlung, C15 und im LBK Kunstkabinett. Die umfangreichen Werkgruppen „Bunkerlandschaften“, „Krankenhäusliche Bettnachbarschaften“ und schließlich „Operation Herz“ wurden dort gezeigt. Stets wurde engagiert diskutiert, über die Werke, um Entwicklung, Fortschritt, Veränderung und um die differenzierte und gesellschaftliche Rolle der Kunst. Im Atelier hatten wir dann auch einmal praktischen Unterricht in der Handhabung seines speziellen Siebruckverfahrens.

 

In diesen unterschiedlichen Konstellationen des immer wieder auflebenden Kontaktes zum Künstler zeigen sich exemplarisch und sehr klar das Prinzip und die Methodik unseres Sammelns. Es ist nämlich der besondere Diskurs, der zunächst zur Künstlerpersönlichkeit und meist dann erst zum Werk führt, zu den verschiedenen Serien der Ausstellungsthemen, zu den Bitumenobjekten und zu vielen weiteren thematischen Schwerpunkten seines künstlerischen Schaffens.

 

Wandel ist einer der zentralen Begriffe, die unser geistiges Leben geprägt haben. János Nádasdy gehört zu den Künstlern, die sich in diesem Sinn kritisch reflektierend mit den jeweiligen gesellschaftlichen Situationen auseinandersetzen. Aber das allein ist für uns noch nicht ausreichend. Wir suchen auch nach kulturellen Mitstreitern, die aus der Analyse der Gegenwart Ausblicke auf eine künftige Position entwickeln. Es geht dabei nicht um politische Programmkunst, sondern um die Eröffnung innovativer Perspektiven. János Nádasdy ist solch ein Mitstreiter und in seinem Werk finden sich viele Hinweise darauf.

 

Kunst kann Politik nicht ersetzen. Aber sie kann Diskussionen anstoßen. Sie kann aufrütteln, Perspektiven aufzeigen, Visionen entwickeln und Zukunftshoffnungen vermitteln. János Nádasdy ist ein Künstler, der zum Nachdenken anregt. Über die Ausstellung „Krankenhäusliche Bettnachbarschaften“ in einem Hamburger Krankenhausunternehmen, die wir mit ihm gemeinsam gestalten konnten, kam er in Kontakt zum Chefarzt einer Herzchirurgischen Abteilung. Aus dieser Begegnung entstand dann das Projekt „Operation Herz“. Der Künstler durfte zeichnend und fotografierend im Operationssaal stehen und so seine Eindrücke festhalten. Diese hat er später in rund 40 Werke, vornehmlich in seinem speziellen, von ihm entwickelten, Siebdruckverfahren, der Serigrafie, verarbeitet und im Unternehmen ausgestellt. Bei der Vorbesichtigung waren die Mitarbeiter der Herzchirurgischen Abteilung zunächst irritiert. Sie hielten die Werke von János Nádasdy für bei weitem zu dramatisch. Ihr Arbeitsplatz war aus der Alltagssicht doch eigentlich viel „normaler“. Die aus diesen Widersprüchen entsponnene Diskussion hat in eindrucksvoller Weise deutlich gemacht, dass gewohnte und vertraute tägliche Routine die Gefahr birgt, existentiellen Ängsten, die Patienten in einem solchen Umfeld erleben, nicht mehr mit der angemessenen Sensibilität begegnen zu können. Die Auseinandersetzung mit der Kunst von János Nádasdy hat an jenem Abend die professionellen Experten zunächst einmal sehr nachdenklich gestimmt und danach mit Sicherheit durch Verunsicherung wachsamer gemacht.

 

Sein ganzes Künstlerleben lang hat János Nádasdy sich die Verarbeitung seiner persönlichen Traumatisierung während des Ungarnaufstandes 1956, die für sein weiteres Schicksal so bestimmend werden sollte, versagt. Erst jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, hat er eine umfassende Serie von Arbeiten geschaffen, die die dramatischen Ereignisse von damals aufgreift. Er hat darin immer wieder, einem Mantra ähnlich, ein Foto kaum bewaffneter, aber von ihrer Mission beseelter Aufständischer gegen Eines von machtbewussten Militärs gestellt. Jahrzehnte später, nachdem er nun nach Ungarn reisen konnte, dort gelegentlich wohnt und auch als Künstler mit seinen Ausstellungen Anerkennung gefunden hat, war wohl diese unverstellte Botschaft für ihn möglich. János Nádasdy sieht diese Arbeiten nicht von ungefähr im Kontext seiner Werke zur Berliner Mauer. „Lenin in Erklärungsnot“ nennt er dann auch die Gesamtschau. Niemals vorher haben wir den Künstler in seinen Aussagen so unmittelbar erlebt. Die grellen Farben dieser Arbeiten stehen in auffallendem Gegensatz zu den zarten, feinen Nuancen der kleinen Radierung von 1969 und auch wohl zu den meisten seiner übrigen Werke.

 

János Nádasdy ist sich in seiner Leidenschaft für das Weltgeschehen immer treu geblieben. Er hat die gesellschaftliche Entwicklung der letzten mehr als 40 Jahre mit seiner Kunst entscheidend begleitet. Vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte ist dieses Handeln nicht nur nachvollziehbar sondern vielleicht sogar folgerichtig. Er wird, da sind wir uns sicher, auch in Zukunft immer wieder ein Suchender sein. Das ist gut so, für uns und natürlich auch für ihn als Künstler.

 

© Ulla und Prof. Heinz Lohmann