LOHMANNdialog
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... die Dynamik liegt im Augenblick

Ausstellung von kroko im Hamburger Rathaus, Eröffnung am 17. Januar 2013

Jutta Konjer / Manfred Kroboth, Tierzirkus, 2006, Collage, 21x30cm

Einführung von Ulla Lohmann

 

Gern bin ich der Einladung nachgekommen zu dieser Ausstellung  zu sprechen. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Die wichtigsten sind: Es ist mir immer eine große Freude mit Jutta und Manfred zusammenzuarbeiten, zu diskutieren und sich  auszutauschen. Die beiden sind sehr intellektuelle und auch sehr herzliche Persönlichkeiten. Da macht es einfach Spaß. Und dann ist es immer wieder spannend sich in die Arbeiten zu vertiefen, sich mit den Ideen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es oft eine gute Portion Humor. Allein die Bildtitel sind schon das reine Vergnügen.

 

J. K. und M. K. sind auch außerordentlich produktive und fleißige Künstler.  Wenn wir aber an Produktivität und Fleiß denken, haben wir meistens ungelernte,  gewerbliche Arbeitnehmer vor Augen. Wir diskutieren dann gern über Mindestlohn und Grundsicherung. Aber von einer Entlohnung (und erst recht einer angemessenen Entlohnung) künstlerischer Arbeit, der in der Regel eine akademische Ausbildung vorausgeht, sind wir weit entfernt. Da kommen dann oft die Argumente: Das gibt der Etat nicht her. Das ist nicht unser Kerngeschäft. Das tragen die Beschäftigten nicht mit. Wie schön wäre es, wenn sich hier etwas ändern könnte. Hat doch der ehemalige Verdi-Chef Wolfgang Rose mir schon vor vielen Jahren nach einem langen Gespräch mit einem Künstler gesagt: Nun habe er begriffen, dass auch Kunst Arbeit sei. Das ist wohl ein gutes Zeichen, das Folgen haben sollte.

 

Nicht nur durch kontinuierliche Arbeit allein, sondern vor allem durch außerordentliche Kreativität und Qualität ist kroko eine Institution in der Kunstszene geworden. J. K. und M. K. stellen in ihrer Marke kroko den Ausgangspunkt und auch das Produkt der eigenen Idee dar. Sie sind eines der seltenen Künstlerpaare. Beide Partner haben jeweils eigene Positionen. Die gemeinsam entwickelten Projekte laufen dann unter der Marke kroko. J. K. und M. K. haben ein umfangreiches, vielfältiges OEvre geschaffen. Das Arbeitsspektrum ist breit und reicht von der Zeichnung über Fotografie, Objekt, Skulptur und Installation bis hin zur Performance. Juttas Vorliebe ist das Sammeln, Verkleiden, Inszenieren, Zeichnen. Manfred steht eher für die akustischen Objekte und Raumkompositionen. Seit Ende der 80iger Jahre haben sie eine stetige, erfolgreiche Einzel- und Gemeinschaftskarriere gemacht.

 

Eine bedeutende gemeinsame Werkgruppe ist die inszenierte Fotografie, die sie immer wieder aufgreifen und fortsetzen. Da gibt es Themen wie „Familienbilder“, die sie von 1992 bis 2000 kreiert haben und auf die sie heute mit den Farb-Fotos „blauer Sessel“ und Abendlektüre“ in neuer, weiterentwickelter Form zurückgekommen sind. Die Ausstellung „Standpunkt“ haben sie 2003 in der Hamburger Kunsthalle vertreten. Eine Schau aus Fotografie, Installation und Akustik. Die Bilder „Kellergipser“, „Kellerschneider“ und „Kellerprobe“ sind damals tatsächlich in den dortigen Kellerräumen und Magazinen entstanden. Und auch „Reiter Hahns Knechte“ stammt aus diesem Kontext. Schließlich kann kroko subtil politisch sein, wie 2007 bei der Teilnahme an - „Art Goes Heiligendamm“. Das Foto „Ein Licht geht auf“ ist jetzt hier zu sehen und entfaltet sicherlich an diesem Ort seine positiven Wirkungen.

 

Als ich über die heutige Ausstellung nachdachte, kamen natürlich die üblichen Fragen auf: Was wird gezeigt? Wie wird es präsentiert? Und dann blieb ich gedanklich hängen bei der Idee: Was gibt es nicht? Gezeigt werden hier Bilder, Fotografien, auf denen sich nichts bewegt. Es gibt keine Pop-Ups, keine laufenden Schriftzüge, keine flimmernden Logos, keine blinkenden Eurosterne. Es gibt keinen Sex, keine Gewalt, keine Katastrophe, keine Daily-Soap. Nun frage ich Sie, was wollen Sie eigentlich hier in einer Ausstellung, wo die Titel „HänselGretel“, „Abendlektüre“ oder „Dianengesang“ heißen?

 

Meine Krankenkasse schrieb neulich in ihrem Hochglanzmagazin, dass die Deutschen heute durchschnittlich 20h/Woche im Internet unterwegs sind. Und dann noch die vielen Stunden vor dem Fernseher! Läuft da heute Abend vielleicht was schief? Nein, keine Sorge, ich will keine Medienschelte betreiben. Fernsehen und Internet und alle digitalen Medien gehören zu unserem Leben dazu und haben ihre positiven Facetten. Auch die Kunst haben sie erobert. Auch die von Jutta
und Manfred. Aber was machen die beiden Künstler nun hier? Knipsen einfach nur ein Foto und hängen es an die Wand. Und die schwarzweiß Bilder sind zu allem Überfluss auch noch analog. Fazit: Also alles von gestern. Aber Sie ahnen schon, das kann nicht stimmen, bei einem Künstlerpaar, das so absolut präsent ist und so heutig arbeitet.

 

Worum geht es also dann? Die Fotografien von kroko sind inszenierte Momentaufnahmen. Ihre Dynamik liegt im Augenblick. Ähnlich einem Filmstill, einem Theaterfoto oder einer Illustrationszeichnung bilden die Fotos nur einen Wimpernschlag einer großen Geschichte ab und erzählen dennoch das Vorher und das Nachher der Szene, die sie gerade darstellen. Die Künstler zwingen uns, uns von der Bilderflut der neuen Medien zu lösen und uns auf einen einzelnen Aspekt einzulassen. Und was passiert? Wir werden eingefangen von der ganzen Geschichte, denken uns selber deren Anfang und erzählen sie uns selbst weiter. Das Theater kroko hat uns gefesselt und wir sind schon mittendrin.

 

Mit zunächst bekannt scheinenden Motiven locken die Künstler uns an: Landschaften, Stadträume, Skulpturen, Gebäude, Archive. Aber bei genauerem Hinsehen dreht sich die Sache schnell ins Absurde, Surreale. Aufmerksamkeit wird geweckt, Phantasie in Gang gesetzt. Wir emanzipieren uns vom Bildkonsumenten zum Mitwisser und Mitgestalter des künstlerischen Prozesses. Die bis ins Detail kalkulierten Inszenierungen bewegen sich immer am Rand der Realität. Sie verschwimmen im Grenzbereich von Wirklichkeit und Phantasie.  Die Künstler spielen mit der Wahrheit und mit dem schönen Schein. Immer ironisch, immer augenzwinkernd. Und sie erwecken den Eindruck es könnte so gewesen sein. Was ja in gewisser Hinsicht auch stimmt. Die Gebäude, die Skulpturen, die Bäume, der Bauschutt, die Polstermöbel und sogar das Klo sind dort, und genau so, wie es das Foto zeigt, vorgefunden worden. Die Künstler haben die Situation lediglich mit ihren Accessoires ergänzt und in die Inszenierung integriert.

 

Gefährten auf krokos künstlerischem Lebens-Weg sind die alltäglichen, banalen Dinge, belanglos gewordene Gebrauchsgegenstände, die ihre Funktion und Bedeutung schon längst hinter sich haben. Stoffreste, altes Spielzeug,
abgetragene Kleider, gebrauchte Schuhe, abgestoßene Koffer, ausrangierte Möbelstücke und Haushaltsgeräte. Und dann sind da noch die ungesehenen, ignorierten, der alltäglichen Wahrnehmung entfremdeten Orte. Ein versteckter Platz im Schilf, trocken gefallene Überschwemmungsgebiete, ein stillgelegter Bahnhof an dem kein Zug mehr halten wird, Skulpturen und Denkmale von deren Bedeutung kaum jemand weiß, verstaubte Archive, verfallende Bauwerke, verlorene Räume mit abgenutztem Mobiliar, Industriebrachen und Straßenränder. Schließlich gibt es noch das Begleit-Personal der Künstler. Hier in erster Linie die Skulpturen in Parks und im urbanen Raum. Und nicht zuletzt die überaus photogene Hündin Nike, die mit der jungen Mischlingsdame Fenja eine ebenso gelehrige wie würdige Nachfolgerin gefunden hat.

 

Materialien ohne Wert, unbeachtete Raumsituationen, ausgewähltes Personal. Das sind also die unmittelbaren Zutaten und Werkstoffe, mit denen das Künstlerpaar kroko seine Objekte und Installationen kreiert und Performances durchführt. Mit der Photographie werden die szenischen, performativen Ideen in die räumliche Zweidimensionalität verlegt. Der Moment wird fixiert. kroko konzipiert die Aspekte von Raum und Zeit immer wieder neu. Dem Foto, sind die zeitliche und räumliche Komponente mit der inhaltlichen Darstellung und Ortsbezogenheit immanent. Der Schritt zurück in die Dreidimensionalität wird über eine reliefartige Rahmung der Arbeiten vollzogen. Je nach Sujet werden die Fotos in Stroh, künstliche Schneewolken, Regenschirmteile oder Netze gefasst, die dann einen Objektcharakter erzeugen.

 

J. K. und M. K. fügen Materialien, Räume, Figuren und manchmal auch Geräusche zusammen, die zunächst nicht recht zusammen passen wollen. Sie scheinen aus einer Welt zu stammen, die so nicht existiert, die irreal und manchmal überholt wirkt. Was aber macht dann die Faszination an ihren Bildern aus? Welchen Zauber strahlen die Werke aus? Vielleicht ist die Antwort einfacher als gedacht. Es scheint, die Künstler beherrschen nicht nur perfekt ihr eigentliches Metier. Sie verstehen sich auch meisterlich auf die Kunst der Verführung. Niemand kann sich wahrscheinlich der subtilen Wirkung des raffinierten Geschichtenerzählens entziehen.

 

Sorgsam komponiert und arrangiert regen die Photographien und Objekte die Phantasie an und beflügeln die Kreativität und Vorstellungswelt. Die Bilder lassen sich wunderbar weiter erzählen, umschreiben oder neu erfinden, wie etwa die „Abendlektüre“ in der heilen Welt der Industriebrache, das Familienfoto nach der Mode um 1900, im blauen Samtfauteuil vor herrschaftlichem Portal oder die Fütterung und Pflege des Bronze-Pferdes. Wie viel Hafer wird es wohl brauchen? Und wo kommt der Schalenkutscher her? Welche Strecke hat er schon geschafft? Was ist sein Ziel? Was denken der Löwe und der Hund wohl gerade über die kleine Balletttänzerin?

 

Die Arbeiten von kroko sind gelebte Inszenierung, lebendiger Schauraum. Sie entfalten ihre Wirkung sowohl als absichtsvolle Einladung, die phantasievollen Bilderrätsel intellektuell zu entschlüsseln und als geschickte Verlockung, das poetische Spiel aufzunehmen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, den wundersamen Wesen dieser Kunst mit ihrer eigenwilligen Sprache, den geheimen Botschaften, versteckten Signalen und kapriziösen Aktionen nachzuspüren. J. K. und M. K. sind die Regisseure im „Theater kroko“. Dieses Theater besitzt kein festes Haus und kein auf Lebenszeit angestelltes Ensemble. Es spielt nicht nach fertigen Textbüchern. Das „Theater kroko“ ist ein kontinuierliches, ubiquitäres Stück auf stets wechselnden freien Bühnen. Publikum allerdings braucht dieses Theater, denn mit ihm werden die Inszenierungen lebendig. Nur die Wahrnehmungen und Reflektionen der aktiven Zuschauer erzeugen die wirklichen Geschichten, so persönlich sie auch sein mögen. Vielleicht bergreifen wir ein kleines Stück von unserem Alltag neu.