LOHMANNdialog
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URBAR

Peter Nikolaus Heikenwälder im Kunstverein Region Heinsberg, Eröffnung am 27. Oktober 2013

PN Heikenwälder im Kunstverein Region Heinsberg, Oktober 2013

Einführung von Ulla Lohmann  

 

Die Kunst von Peter Nikolaus Heikenwälder hat eine beeindruckende Faszination. Aber gleichzeitig fordert sie dem Betrachter auch mancherlei ab. Es kostet schon einige Bemühung sich einzulassen, sich zu vertiefen. Wenn im ersten Augenblick ein kleiner, einschmeichelnder Farbfleck aus dem Dunkel aufleuchtet, eine klare geometrische Figur vor amorphen Strukturen sich zu erkennen gibt, eine Komposition ihre tiefgründige Ausdruckskraft entfaltet, so stellt sich doch unmittelbar eine seltsame Spannung ein. Vielleicht ist es zunächst Unsicherheit oder Ratlosigkeit. Der Künstler kommentiert das mit dem schlichten Hinweis: „Die Fragen kommen immer erst, wenn man schon erkannt hat was drauf ist.“ Jedenfalls gibt es keine schnelle Lösung, auch nicht auf den zweiten Blick. Im Gegenteil, diese Kunst fordert weiteres Engagement. Umso mehr freue ich mich, hier zu der Ausstellung sprechen zu dürfen und Sie ein Stück auf dem Weg in ein Werk besonderer Kreativität mitnehmen zu können, untrennbar verbunden mit der Persönlichkeit und dem Menschen Peter Heikenwälder, den ich überaus schätze.

 

Ja, und dann ist da noch dieser außergewöhnliche Raum, die beachtliche Initiative gerade an diesem Platz zeitgenössische Kunst zu präsentieren. Der Ort und die künstlerischen Arbeiten gehen eine gelungene Verbindung ein, an der wir heute alle teilhaben dürfen.

 

Ende August war Peter Heikenwälder zum ersten Mal im Horster Hof und hat sich die Räume angesehen. Er schickte mir ein Selbstportrait mit einem verschmitzten, hintergründigen Lächeln. Die ausgewachsenen Maisstauden reichten ihm bis zum Hals. Grüße aus Heinsberg. Das war sein erster Eindruck aus der Region und die Inspiration für den Titel seiner Ausstellung: URBAR. Und in der Tat, Raum und Umgebung sind damit erfasst. In den 1960er Jahren wurde in der Gegend bei Heinsberg die Grundlage für die dortige industrielle Entwicklung der Landwirtschaft gelegt. Das Stromspaltungsgebiet zwischen Maas, Rur und Wurm wurde durch Entwässerungsstrategien für die Intensivnutzung vorbereitet. Temporäre Überschwemmungsgebiete, Feuchtwiesen, Pappelwäldchen und mäandrierende Bäche mit alten Kopfweiden, Erlen und Schwertlilien wurden trocken gelegt. Die Folge: ein dramatischer Kulturverlust, damals jedoch empfunden als zeitgemäß fortschrittlich. Der Horster Hof, typischer und zentraler landwirtschaftlicher Betrieb, wurde nach Sanierung und Umbau jedoch ein Kulturgewinn. Er wurde urbar gemacht für die Kunst und stellt heute einen wichtigen kulturellen Baustein zwischen Rhein und Maas dar.

 

Peter Heikenwälder, geboren 1972 in Hamburg, Studium an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig bei den Professoren Friedemann von Stockhausen und Klaus Stümpel, lebt und arbeitet heute wieder in der  Hansestadt. Seine Kunst, seine Arbeitsweisen sind mir seit vielen Jahren aus Ausstellungen, Diskussionen und Atelierbesuchen vertraut. Und doch ist es immer eine Herausforderung öffentlich über Kunst verantwortlich zu schreiben und zu sprechen. Also machte ich mich erneut auf ins Atelier.

 

Der Künstler hat seinen Arbeitsplatz in einem Hamburger Industriegebiet, unmittelbar an einem Seitenkanal zwischen Elbe und Bille. Aus dem vierten Stock des ehemaligen Forschungsgebäudes eines Chemieunternehmens fällt der Blick direkt auf eine Müllverwertungsanlage an der anderen Seite des Gewässers. Dahinter liegt ein riesiges Kohlekraftwerk. Das Atelier und der Horster Hof, mit ihrer jeweiligen Umgebung, könnten unterschiedlicher kaum sein. Und dennoch haben beide Plätze etwas merkwürdig Gemeinsames. Es ist eine fühlbare Form besonderer Abgeschiedenheit. Es ist die Abwesenheit einer umtriebigen Alltagsurbanität, wie wir sie heute aus den Zentren der Großstädte kennen. Es ist die Konzentration auf den Ort, auf das Hier und Jetzt, auf die Kunst.

 

Angesichts der Aussicht aus dem großen Panoramafenster des Ateliers schien mir zunächst der Hinweis des Künstlers zu seinen Bildern ziemlich verworren oder zumindest paradox. „Ich nehme alles von da draußen“, sagte er, „aus meiner unmittelbaren Umgebung“. Wie sollte ich das verstehen? Die Farbigkeit, die Formensprache und die Kompositionen stimmen jedenfalls nicht annähernd mit der realen Welt überein. Sicher, das ist in der bildenden Kunst heute nicht die Erwartung und auch keine bahnbrechende Erkenntnis mehr. Aber hier ist es grundlegend anders. Peter Heikenwälder beschränkt sich nicht auf Variationen und Verfremdungseffekte, denn er  gestaltet seinen ganz speziellen Raum und meint: „Meine Werke sind nicht Abbild, sie sind die Neuerfindung einer eigenen Welt“. In dieser Welt gibt es bekannte Muster, Formen, Flächen, Linien, Farben. Aber ihre Herauslösung aus dem vertrauten Kontext, transferiert in eine fremde Umgebung, lässt ein ungewohntes Eigenleben und ein neuartiges, spannungsreiches Zusammenspiel entstehen. 



 

Nichts anderes tut die Kunst, und gerade die von Peter Heikenwälder. Auch hier geht es um Rekombination und um Teilhabe, oder besser noch um teilnehmen, um mitmachen. Mit Offenheit, Neugier, Kreativität und Phantasie erschließen sich ungewöhnliche, spannende Wege. Jedes Bild wird zu einem Erlebnis. Die Kunst ist ebenso wie die Wissenschaft eine ernste Sache. Aber es fehlt ihr nicht an Humor, Witz und Ironie. So ist es auch zu verstehen, wenn der Künstler - natürlich mit einem kleinen Augenzwinkern - über seine schwarzgrundigen Arbeiten sagt: „Ich finde meine Bilder lustig. Sie sind eben einfach nur dunkel. Meine Intention ist jedenfalls nicht Bedrohung.“ Wer genau hinschaut und wer den Künstler kennengelernt hat, wird davon überzeugt sein. Seine Werke lassen verschiedene Sichtweisen zu, ja fordern diese geradezu heraus, gleich, ob in einem Bild oder über ein Bild. Es gibt stets reizvolle Entdeckungsreisen, die der Künstler gelegentlich sogar selbst macht, wenn er eine Arbeit über lange Zeit nicht mehr gesehen hat.

 

Peter Heikenwälder versteht es meisterhaft, den flächigen Malgrund, in welchem Format auch immer, oder das kleine, dünne Zeichenblatt zunächst in die Räumlichkeit zu überführen und dann in weiteren Schritten die Betrachter visuell und intellektuell auf Wege in unbestimmbare Dimensionen zu schicken. Zeit und Raum entziehen sich dort der Fasslichkeit. Die Bilder sind keine Abstraktion der Realität. Es ist immer noch etwas von etwas. Und deshalb ist es plausibel, wenn er von der „Abstraktion von Situationen“ spricht. Es geht um die Darstellung der Prinzipien. „Meine Arbeiten geben eine Form von Weltvorschlag wieder“ sagt er. Sie sind eine „Übersetzung in eine andere Bildsprache“, deren Vokabular, eine charakteristische Komposition von Farben und Strukturen, erst erschlossen werden will.

 

Bei meinem Rückweg aus dem Atelier hatte sich die Dämmerung schon über die Stadt gelegt. Es war die viel beschriebene blaue Stunde, die mir an diesem Sommerabend besonders intensiv erschien. Gebäude, Bäume, Straßen hatten sich in Schatten verwandelt auf denen die leuchtenden Flecken von Fenstern, Ampeln und Reklame saßen. Es gab nur noch Linien, Zeichen, Flächen vor dunklem, nächtlichem Fonds. Und dann fielen mir diese Worte wieder ein: „Ich nehme alles von da draußen.“